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Immer neugierig bleiben
Karl-August Heitsiek, den viele nur als „Kalli“ oder „Opa Kalli“ kennen, ist ein echtes Phänomen. Im stolzen Alter von 90 Jahren strahlt der Mann eine Lebensfreude aus, die man selten findet. Anfang November treffen wir ihn in Knetterheide. Er ist frisch zurück aus Finnland – einem Land, das er bereits über zehnmal besucht hat, das ihn aber noch immer so fasziniert wie beim ersten Mal. „Die Neugier ist mein Lebenselixier“, erklärt Heitsiek. Kein Wunder, dass Finnland nur eines der vielen spannenden Kapitel in seinem Leben ist …
Von der Schuhfabrik zur Tankstelle
Das berufliche Leben von Karl-August Heitsiek spielte sich 43 Jahre lang auf der Tankstelle an der Bielefelder Straße ab. Schon zu Beginn der 1950er-Jahre erkannte sein Vater August, dass es die eigene Schuhfabrik künftig sehr schwer haben würde, sich weiterhin zu behaupten. „Das mit den Schuhen stirbt langsam“, waren die Worte des Vaters, an die sich Karl-August Heitsiek heute noch erinnert. „Damals gab es in Knetterheide praktisch hinter jedem zweiten Haus eine Werkstatt, in der Schuhe hergestellt wurden.“ Umso unvorstellbarer sei es für ihn und seine beiden jüngeren Brüder gewesen, dass der Vater für seinen eigenen Betrieb eine schlechte Zukunft voraussagte und im Jahr 1954 in das Tankstellengeschäft einstieg.
„Er hat einfach bei ARAL in Bochum angerufen, und die haben tatsächlich mitgemacht“, erinnert sich Karl-August Heitsiek. Das recht große Grundstück der Familie an der viel befahrenen Bielefelder Straße hatte bei der Entscheidung des Mineralölunternehmens wohl eine wichtige Rolle gespielt. 1954 konnte die Tankstelle in Eigenregie der Familie Heitsiek schließlich gebaut werden. Karl-August, der eigentlich Groß- und Außenhandelskaufmann im Holzgewerbe war, und sein Bruder Rudolf, der Schuhmacher, wurden also Tankwarte – zunächst in Teilzeit. Ab 1956, „als der Laden richtig lief“, im Hauptberuf. Die Schuhfabrik sollte schon kurze Zeit später der Vergangenheit angehören.
Noch heute erinnert sich Kalli Heitsiek gern an die Herausforderungen der Anfangsjahre. „Wir waren Laien, und wir hatten längst nicht die einzige Tankstelle im Ort“, so der 90-Jährige. Mit der „Shell“ und der „Rückwarth“ gab es zwei Wettbewerber in der Oerlinghauser Straße. Und wenn man die Bielefelder Straße weiter hochfuhr, kam man an einer weiteren Shell- und an einer BP-Tankstelle vorbei. „Die BP von ‚Bröker Pilo‘ war die erste im Ort“, erinnert er sich.
Familie als Erfolgsfaktor
Dass sich die Tankstelle der Heitsieks trotz des großen Wettbewerbs durchsetzen und etablieren konnte, führt Karl-August auf den starken Zusammenhalt in der Familie zurück. „Mein Bruder Rudolf, unsere Ehefrauen, meine Eltern und ich haben immer zusammengehalten, uns gegenseitig unterstützt und die wichtigsten Entscheidungen gemeinsam getragen. Auch dann noch, als ich die Leitung der Tankstelle und die Verantwortung übernommen habe“, erklärt er.
Diese enge Zusammenarbeit machte die Tankstelle zu einem ganz besonderen Ort – nicht nur für die Familie. In einer Zeit, in der es noch keine Selbstbedienung gab, war eine Tankstelle mehr als nur ein Verkaufsort: „Sie war ein Treffpunkt, an dem sich die Menschen begegneten und auch miteinander ins Gespräch kamen. Die Leute fuhren an die Zapfsäule und ließen ihr Fahrzeug von uns betanken. Gleichzeitig haben wir die Fensterscheiben sowie die Scheinwerfer geputzt und oft auch gleich noch den Luftdruck der Reifen geprüft.“ Nette Worte und ein bisschen Smalltalk gab es gratis dazu.
„Außerdem war bei fast jedem zweiten Auto irgendwas kaputt“, erinnert sich Heitsiek. „Kalli, der Keilriemen quietscht. Schaust du mal nach der Glühbirne hinten links? Der Scheibenwischer schmiert.“ Ständig standen kleinere Reparaturen an, die Karl-August und sein Bruder nebenbei erledigten – was ihnen wichtige Zusatzeinnahmen brachte. „Einen Shop mit Bistro und Zeitungen gab es damals noch nicht“, erklärt Heitsiek. „Batterien, Scheibenwischer und die gute Rex-Politur waren die Verkaufsschlager der ersten Jahre.“
Das änderte sich in den folgenden Jahrzehnten. Eine Werkstatt mit Hebebühne, eine Waschanlage mit 13 Motoren (Karl-August Heitsiek: „Wenn alle gleichzeitig ansprangen, gingen die Fernseher in der Nachbarschaft aus.“) und ein kleiner Mini-Shop kamen über die Jahre hinzu. Später wurden auch die Zapfsäulen moderner und an die elektronischen Kassensysteme angebunden.
Ein Ende mit großem Umbau
Mit der letzten und größten Modernisierung läutete Karl-August Heitsiek schließlich das Ende seiner eigenen Tankstellenkarriere sowie die seiner Familie ein. „Am 31. Dezember 1999 haben Rudolf und ich die letzte Tankfüllung ausgegeben, die meine Frau Annerose berechnet hat“, erinnert er sich. Anschließend wurde die 45 Jahre alte „ARAL“ abgerissen und völlig neu konzipiert. Für die neu entstandene DEA-Tankstelle, die nur zwei Jahre später zu einer „AVIA“ wurde, hatte der damals 66-jährige Karl-August Heitsiek einen Pächter aus Schötmar gefunden. „Bei der Bauleitung des neuen Komplexes war ich natürlich noch dabei.“
Die Tankstelle war nie die einzige Leidenschaft, die Kalli Heitsiek über die Jahrzehnte hinweg begleitet hat. Auch den Norden Europas hat er schon früh – und vor rund acht Jahren erneut – für sich entdeckt.
Im Jahr 1952 fand der 18 Jahre alte Kalli eine Brieffreundschaft, die ihn und seinen Bruder noch im selben Jahr per Bahn und Fähre nach Helsinki führen sollte. „Rudolf und ich hatten zwei junge Finninnen kennengelernt und wurden sogar zum Besuch der Olympischen Spiele eingeladen – eine unvergessliche Zeit“, so Karl-August Heitsiek. Kurze Zeit später folgte schon der Gegenbesuch aus Finnland, so festigten sich allmählich die Kontakte zwischen den Teenagern und ihren Familien.
Über die Jahre und durch die eigenen familiären Entwicklungen haben sich die Verbindungen dann zeitweise doch etwas gelockert. Grußkarten zu Weihnachten, Fotos und Zeitungsartikel wurden zwar noch hin und her geschickt, „doch das war es dann auch schon“, so Karl-August Heitsiek.
Der neugierige Deutsche
Im Jahr 2016 sollte sich das allerdings wieder ändern. Ähnliche Ereignisse und Veränderungen in den Familiengeschichten führten dazu, dass sich die Kontakte wieder intensivierten. Zunächst schriftlich und bald auch wieder persönlich. „Seit 2017 fahre ich jedes Jahr für zwei bis drei Monate nach Finnland, um dort meine ‚drei Mädchen‘ zu treffen“, erläutert Heitsiek. Sein Bruder Rudolf und seine einstige Brieffreundin können leider nicht mehr dabei sein. Umso mehr freut sich der 90-Jährige jedes Jahr über das Wiedersehen und den gemeinsamen Austausch der Erinnerungen. Außerdem ist Kalli jedes Mal aufs Neue überwältigt von der Natur. Er erzählt, wie er selbst im Winter, dick eingepackt im warmen Anorak, durch die verschneiten Wälder wandert. „Da draußen, in der stillen Weite, habe ich immer das Gefühl, frei und lebendig zu sein“, schwärmt er.
Seine finnischen Freunde beschreiben ihn als „den neugierigsten Menschen, den sie kennen“. Und Kalli nimmt das als Kompliment. „Neugier ist das Wichtigste“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Wenn man nicht neugierig ist, verpasst man das Beste im Leben. Wenn man sich aber für etwas interessiert, dann bleibt man jung, egal wie alt man ist.“
Nicht nur er selbst profitiert von dieser gesunden Einstellung. Beim ersten Stadtwerke-Quiz im Netzwerk, bei dem vor rund fünf Jahren insgesamt 25 Bad Salzufler Vereine um 1.000 Euro wetteiferten, belegte der SV Werl-Aspe den ersten Platz. Die allermeisten Antworten des Siegerteams kamen von Opa Kalli.